Hinter’m Horizont ist Osten - 15.500 km über 14 Landesgrenzen nach Moskau und zurück

Jörg Finze, Jahrgang 1967 und Ostfriese im Oberallgäuer Exil, plante für 2018 eine Motorradtour in den Iran. Die politische Situation ließ ihn umdenken und er verlegte sein Ziel nach Moskau - was sich zu einer Europareise ausweiten sollte.

 

 

 

 


„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…“ 

- Hermann Hesse

 

Dieser Zauber breitete sich in mir aus, als ich mich im Winter des Jahreswechsels 2017 dazu entschloss, eine Reise mit dem Motorrad zu machen, die alles Bisherige in meinem Leben in den Schatten stellen sollte. In den Schatten, sowohl was die Dauer, als auch was die Entfernung anging. Das Ziel war schnell ausgemacht: Der Iran sollte es sein!


Da nun die Politiker dieser Welt - für mich völlig unerklärlich - wenig Rücksicht auf meine Reisepläne legten, war der Iran aufgrund immerfort schwelender Konflikte genauso schnell verworfen, wie er in den Fokus gerückt war.


Das sollte jedoch nun kein Scheitern des Grundgedankens zur Folge haben und so klebte mein Finger weiterhin im Osten auf der Karte und wanderte durch die Ukraine an das Schwarze Meer bis nach Moskau.
Die Beantragung des Visums für die Russische Föderation war dann alles, was die Vorbereitungsphase so zu bieten hatte, frei nach dem Motto „Weniger ist manchmal mehr!“ denn das Touren mit Zelt birgt genau diese abenteuerliche Spontanität in sich.


Trotzdem! Technisch wollte ich kein Risiko eingehen und so wurde zwei Wochen vor Abfahrt der GS ein komplett auf die Bedürfnisse der Tour ausgelegtes Fahrwerk bei Wilbers in Nordhorn angepasst. Eine Entscheidung, deren positive Tragweite ich zu dem Zeitpunkt nicht im Ansatz überreißen konnte.
So verging die Zeit wie im Fluge und als ich am 16.07.2018 vor meinem Haus im Ulmerthal (Allgäu) den Starter-Knopf der GS drücke, hatte ich ganz kurz bedenken, ob 2 Monate und viele fremde Länder nicht doch eine Nummer zu groß für mich wären!


Egal! Die Sonne tat das, was sie am besten kann - scheinen - und so ging es über Wien durch Ungarn und Draculas Heimat in Siebenbürgen/Rumänien an die Grenze zur Ukraine, wo ich nicht nur mit einer fremden Sprache und ihren kyrillischen Schriftzeichen konfrontiert wurde, auch die Straßen fingen an, ein gewisses osteuropäisches Klischee zu bedienen. Schlaglöcher, so tief, dass ein halbes Motorrad darin hätte auf nimmer Wiedersehen verschwinden können, waren hinterhältiger Weise mit Wasser gefüllt, was mich oftmals zu einem unkoordinierten Schlingerkurs bei Schrittgeschwindigkeit zwang.

 


Da aber nicht nur ich, sondern auch LKW und PKW damit zu kämpfen hatten, war es keine Besonderheit, wenn fast einem Tanz ähnlich, schaukelnd Fahrzeuge auf der eigenen Fahrbahn entgegen kamen und ich wie selbstverständlich den Freiraum auf der Gegenfahrbahn nutzte.
Das muss man sich mal vorstellen! Überall Jahrhundertsommer, der mit Superlativen überhäuft wird, aber die Schlaglöcher der Ukraine führen Wasser!


Was mein neues, genau auf diese Verhältnisse abgestimmtes Wilbers-Fahrwerk leisten musste, konnte ich nur erahnen, da ich jeden Abend sämtliche Schrauben des Gepäck- und Kofferträgers nachziehen musste.

 

 

Mein Weg führte mich vom Schwarzen Meer quer durch die Ukraine nach Kiev und Tschernobyl. Meine Reisepläne über das Kaspische Meer nach Russland einzureisen sollten dann ihr jähes Ende finden, denn nicht nur die Webseite des Auswärtigen Amtes sondern - und das gab den Ausschlag - auch Einheimische warnten mich davor, das Krisengebiet von Donezk und Luhansk zu durchqueren.

Ja…die Einheimischen! Sie werden in meinen Reiseerinnerungen einen Ehrenplatz einnehmen, denn nirgends wurde ich in allen Belangen gastfreundlicher empfangen als in der Ukraine und Russland.


Stellvertretend für alle möchte ich Pjotr erwähnen. Ich hatte in der Nähe der ukrainischen Stadt Холмськe an einem wunderbar idyllisch gelegenen See einen Übernachtungsplatz gefunden, der an Schönheit kaum zu überbieten war und jedem Reiseratgeber für Wildcamper zur Ehre gereicht hätte.

Als ich gerade dabei war mein Zelt aufzustellen, sah ich schon von weitem einen weinroten Lada Niva heranrumpelm, der sich, je näher er kam, immer langsamer, die Szene überprüfend, an mich herantastete.
Mir wurde immer mulmiger, denn mir war fast klar, dass nun recht bald die deutliche Anordnung folgen würde, alles wieder zusammenzupacken und mich zu Schleichen.

Weit gefehlt! Ein extrem freundliches Gesicht vom Typ Großvater entstieg stöhnend dem Gefährt, umrundete wortlos mit einem Zigarettenstummel im Mundwinkel interessiert das Motorrad, kam dann kopfschüttelnd auf mich zu und streckte mir unvermittelt die Hand entgegen.
Es enstand eine angeregte Unterhaltung mit Händen und Füßen. Selbst heute, mit viel Abstand zu der Szene, kann ich behaupten, dass ich nur einen Bruchteil verstanden habe, was er mir sagen wollte.
So viel habe ich verstanden: Er hieß Pjotr, war der örtliche Fischer auf dem See und konnte nicht verstehen, wie jemand freiwillig diese Strapazen auf einem Motorrad auf sich nehmen kann.
Ein paar gemeinsame Zigarettenlängen später verabschiedete er sich mit einer Umarmung, nur um nach einer Stunde wiederzukommen und mir eine selbstgemachte Fischkonserve als Abendessen zu bringen, wenn ich schon nicht bei ihm übernachten wolle.


Der deutliche Geschmack nach Fisch und Gräten bewahrheitete seine Angabe, was er mir da gerade für eine kulinarisches Highlight überlassen hatte.
Aber es war superlecker!

 


Selbst die überall so gefürchteten Zöllner und Polizisten an der Grenze nehme ich hier nicht aus, was Freundlichkeit angeht, denn noch heute spüre ich den kalten Schweißausbruch, als mir eine vollkommen kyrillisch verfasste, zweiseitige Zollerklärung für das Motorrad unter die Nase gehalten wurde, die ich nur mit Hilfe der Grenzbeamten ausgefüllt bekam und mir bis heute nicht sicher bin, ob ich nicht der Russischen Föderation aus Unkenntnis der Sprache in Wort und Bild, mein Motorrad vermacht habe.

 

So erreichte ich dann am 11.07.2018 um 13:37 Uhr komplett mit allen Schrauben am Motorrad durch Polen, Litauen, Lettland und Estland über die wunderschöne russische Metropole St. Petersburg, die mein Einfahrtstor zu Russland war.

 

Und über die Etappe in St. Petersburg erreichte ich letztlich das Panzersperren-Denkmal an der Stadtgrenze zu Moskau, ein russisches Nationaldenkmal, an dem im 2. Weltkrieg der Angriff der Deutschen Wehrmacht - Gott sei Dank - vor den Toren der Stadt zum Erliegen kam…und mein Ziel: Den roten Platz in Moskau.

 

 

Staub, Regen und immerwährende Schlaglochpisten auf Sandwegen wurden für die nächsten Wochen mein stetiger Begleiter und noch heute ist es für mich ein Wunder, dass alles durchgehalten hat, wenn man an die Schwerstarbeit, die das Fahrwerk leisten musste, denkt!

 

Letztlich waren ein schwitzender Simmerring am Hauptantrieb und ein Riss im Reifen alles, was ich an Schäden zu beklagen hatte, und - Dankeschön an das Universum - erst auf der Rückreise, kurz vor Deutschland.


So sitze ich hier und durchlebe während ich alles niederschreibe noch einmal meine Reise. Meine Gedanken schweifen ganz heimlich, still und leise immer weiter ostwärts in die Mongolei, die 2019 mein nächstes Ziel sein wird.
Denn…


…“Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“

 


 

 

 

Weitere, detailliertere, Texte und Bilder hat Jörg auf seiner Webseite zusammengetragen, wer stets up-to-date sein möchte, dem sei seine Facebook-Seite ans Herz gelegt!